Hass, Hetze und Gerüchte verbreiten sich rasend schnell. Öffentliche Debatten eskalieren zum giftigen Streit. Wie kann das Miteinander-Reden dennoch gelingen? Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sprach über die Kunst des Dialogs im digitalen Zeitalter - in seiner «Rede zur Lage der Generationen» im Innenhof des Berner Generationenhaus. 

Vor seiner Rede im Berner Generationenhaus sprach Bernhard Pörksen* in einem Interview mit SRF über die Kunst des Dialogs. Hier ein Auszug aus diesem Gespräch:

Bernhard Pörksen – streng durch die wissenschaftliche Brille betrachtet erleben Sie derzeit wohl eine der spannendsten Zeiten Ihrer Karriere…

Bernhard Pörksen: Sie haben völlig recht. Wir haben eine laufende Medienrevolution, vergleichbar mit der Erfindung der Schrift oder des Buchdrucks, wann erlebt man das schon mal. Und natürlich haben wir in Zeiten dieser furchtbaren Pandemie ein Novum: Menschen zentrieren sich weltweit um ein einziges Thema. Das hat es so noch nicht gegeben.

Sie schreiben in ihrem neusten Buch vom Dilemma zwischen Mensch und Meinung, etwas, das viele von uns gerade in der Corona-Krise erleben. Was meinen Sie damit?

Bernhard Pörksen: Wenn man die Kommunikation ruinieren will, dann macht man eines garantiert: Man verteufelt den anderen total. Man sagt nicht nur, seine Meinung ist kritikwürdig, sondern die Person selbst verdient es, angegriffen zu werden. Und dann reden wir vom kriminellen Flüchtling, der hysterischen Feministin oder wahrscheinlich dem langsamen Schweizer, um irgendein blödsinniges Klischee aufzugreifen. Auch den Begriff «Verschwörungstheoretiker» kann man natürlich diffamieren. Das erste Gebot zur Entgiftung von Kommunikation lautet also: Du sollst nicht vorschnell generalisieren.

In der Hitze des Gefechts sind solche Urteile aber schnell gefällt und ausgesprochen. Schwierig, sich vorzustellen, was das in der Realität heisst. Müssten wir alle zuerst fünf Minuten durchatmen, bevor wir auf Twitter eine Antwort schreiben?

Bernhard Pörksen: Fünf Minuten sind ja schon viel in diesen Zeiten (lacht). Manchmal reicht es auch, nur zwei Atemzüge zu nehmen, bevor man etwas teilt oder weiterleitet und in höchster Aufregung reagiert. Denn auch die Geschwindigkeit ist ein Eskalationsmittel. Man reagiert sofort, die andere Seite auch, und so entsteht im Extremfall ein Teufelskreis wechselseitiger Abwertung.

Müssen wir akzeptieren, dass die sozialen Medien unsere Art, wie wir miteinander umgehen, vergiftet haben?

Bernhard Pörksen: So hart würde ich nicht argumentieren. Es gibt Teile der gesellschaftlichen Kommunikation, die durch die sozialen Netzwerke in Mitleidenschaft gezogen wurden. Aber nach wie vor sind soziale Netzwerke auch wunderbare Instrumente, um über Zeit- und Raumgrenzen hinweg Kontakt zu halten, die Beziehung zu Freunden, die gerade nicht da sind, auf einfache Weise zu bestätigen. Wir müssen versuchen, die guten Seiten zu nutzen und die Fehlentwicklungen eher zu marginalisieren. Das ist eine gigantische Medienbildungsaufgabe.

Wir haben darüber gesprochen, was alles schief läuft in der Kommunikation – gehen wir doch noch darauf ein, wie wir da wieder rauskommen. Wie sieht in Ihren Augen das gute Gespräch aus?

Bernhard Pörksen: Das gute Gespräch lebt vom Gedanken: Der andere könnte recht haben. Man braucht ihn, um gemeinsam ein umfassendes Bild zu entwickeln. Es lebt davon, dass man wirklich ein gemeinsames Thema hat und Lust an der Debatte. Wer den anderen nur argumentativ über den Tisch ziehen will, führt kein wirkliches Gespräch, sondern ist eingetreten in einen Machtkampf, da geht es um Sieg oder Niederlage, aber nicht um die gemeinsame Entdeckung von Wahrheit oder von dem, was wir Wahrheit nennen. Man darf sich auch mal streiten oder hitzig debattieren – aber immer auf der Basis einer grundsätzlichen Wertschätzung.


Auszug aus dem «Tagesgespräch von Radio SRF» vom 11. September 2020


*Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Er erforscht die Macht der öffentlichen Empörung und die Zukunft der Reputation. Er ist unter anderem Autor von „Die grosse Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung“ (2018). Gemeinsam mit dem Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun hat er den Bestseller „Kommunikation als Lebenskunst“ (2016) sowie das Buch „Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik“ (2020) geschrieben.

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